Offener Brief des Wohnprojekts Ein-Zwei-Dreisam zu den Ende Juli verabschiedeten Vergabekriterien für das Baugebiet am Kurhaus in Kirchzarten:

Chance für bezahlbaren Wohnraum vertan: Gemeinderat heizt Preise weiter an

Ohne vorherige öffentliche Diskussion wurden am 27.7.2017 die mit Spannung erwarteten Vergabekriterien für die Baugrundstücke im Baugebiet am Kurhaus beschlußfertig präsentiert und bei gerade mal 2 Enthaltungen direkt beschlossen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Im Mietwohnungsbau werden jene Bauträger, Investoren und Baugenossenschaften den Zuschlag bekommen, die den höchsten Preis bieten. In den von der Firma Kommunalkonzept Freiburg vorgestellten Bewerbermatrixen, die verschieden gewichtete Kriterien ausweist, ist das Kriterium „höchster Kaufpreis“ das mit Abstand wichtigste. Zwar gibt es auch Punkte für niedrige Mieten (eine entsprechende Sozialbindung muss allerdings nur für 15 Jahre eingehalten werden, danach dürfen die Mieten dann steigen), doch für den höchsten Preis erhält der Bewerber 4-5 mal so viele Punkte. Der wohnungspolitische Anreiz, der durch diese widersprüchliche Bewertung gesetzt wird, läuft auf ein Anheizen der Mietpreisspirale hinaus. Nicht nur wird es keine Deckelung der Mietpreise geben, zumal für Kirchzarten und für Neubauten das ohnehin schwache Instrument der Mietpreisbremse nicht gilt. Vielmehr werden sich die Investoren mit Kaltmieten zwischen 11 und 12 Euro die hohen Kaufpreise wieder rein holen, vom Reingewinn ganz zu schweigen. Auch bei den Baugenossenschaften gibt es keine Deckelung der Mieten, auch hier wird der höchste Kaufpreis noch doppelt so hoch gewichtet wie günstige Mieten.

Auch die Grundstückpreise für die Privatgrundstücke sind mit 550 Euro/m² überteuert, auch wenn dies die aktuellen Bodenrichtwerte hergeben. Doch diese sogenannten Bodenrichtwerte sind ja nur Abbild einer irren Marktentwicklung, die eine Gemeinde eigentlich bremsen sollte anstatt sie zu bestätigen.

Auch in punkto Ökologie setzen die Vergabekriterien desaströse und widersprüchliche Anreize. Wer am meisten Tiefgaragenplätze bauen lässt und damit die Bau- und Mietkosten hochtreibt bekommt weitaus mehr Punkte als ein Bauträger, der eine Ladestation für Elektroautos baut. Car-Sharingplätze bekommen gar keine Punkte.

Mit diesen Vergabekriterien stellt sich die Gemeinde Kirchzarten völlig außerhalb der gesellschaftlichen Debatte darüber, wie endlich wieder bezahlbarer Wohnraum, insbesondere im wichtigen Mietwohnungsbau geschaffen werden kann. Mietwohnunsgbau ist wichtig gerade in einem Ort wie Kirchzarten mit einer hohen Wohneigentumsquote, weil viele Menschen keinen Wohneigentum bilden können oder wollen. Mietwohnungsbau ist auch wichtig, weil hier weniger Pro-Kopf Fläche an Wohnraum, Gartenfläche etc. verbraucht wird und neue, zeitgemäße Formen des Zusammenlebens – Stichwort teilen statt besitzen – entstehen können.

Wie nun die in der Gemeinderatssitzung beschworene „soziale Durchmisschung“ gelingen soll ist schleierhaft, zumal auch die von der Adelhausenstiftung abzugebenden Grundstücke bei einem Erbpachtzins von 4% teuere Miet- und Eigentumswohnungen nach sich ziehen werden. Auch wenn die Gemeinde selbst ein Haus im sozialen Wohnungsbau am Kurhaus realisieren sollte – wobei selbst dies noch gar nicht entschieden ist – dann würde damit im gesamten Baugebiet nicht einmal 5% des gesamten Wohnraums als sozialer Wohnraum geschaffen. Zum Vergleich: Die Stadt Freiburg hat vor wenigen Jahren eine Trendumkehr beschlossen und verlangt nun von den Bauträgern in jedem Baugebiet 50% Sozialwohnraum.

Scheute der Gemeinderat eine grundlegende öffentliche Debatte?

Angesichts dieser Brisanz und den weitreichenden Langfristfolgen bei einem so großen Baugebiet stellt sich die Frage, wie es eigentlich zu dieser Entscheidung zu Ferienbeginn kommen konnte. Formal betrachtet mag es korrekt sein, wenn der Gemeinderat eine solche Entscheidung kurzfristig in einer öffentlichen Sitzung trifft. Der Zeitpunkt am ersten Ferientag allerdings hinterlässt ebenso ein Geschmäckle wie die Tatsache, dass aus den Gremien im Vorfeld keinerlei Hinweise an die Öffentlichkeit geraten sind. Viele Menschen hatten seit dem Frühjahr wiederholt gefragt, wohin bezüglich der Vergabekriterien die Reise gehen wird.

Auch die seit zwei Jahren ehrenamtlich arbeitende Wohninitiative Ein-Zwei-Dreisam, die sich für ein Grundstück bewirbt, ist geschockt über diese Entwicklung. Die Initiative beabsichtigt dauerhaft bezahlbaren Wohnraum um die 7 Euro/m² zu schaffen, den Pro-Kopf Verbrauch an Wohnfläche gering zu halten, Gartenfläche gemeinschaftlich zu gestalten und mit maximal einem Auto pro Wohneinheit auszukommen. Auch sollte eine Flüchtlingsfamilie im Haus eine Wohnung erhalten. Mit nahezu allen Gemeinderäten gab es im Vorfeld konstruktive Gespräche, die Initiative erhielt Lob von allen Seiten. Mit den nun verabschiedeten Kriterien sind solcherlei innovative Wohnprojekte jedoch praktisch unmöglich geworden.

Kirchzarten 28.8.2017, www.ein-zwei-dreisam.org

Lesen Sie zu diesem Offenen Brief unseren Bericht im Dreisamtäler vom 30.08.2017