„Bin schon ein Teil der Tradition“

Studienpraktikantin aus Hamburg auf dem Ruhbauernhof

Viehauftrieb-Feldberg
Viehauftrieb- auf dem Feldberg

Kirchzarten (u.) Die junge Hamburgerin Charlotte Bauer macht derzeit ein Studienpraktikum auf dem Ruhbauernhof in Dietenbach und schildert ihre Erlebnisse:

Seit nun knapp zwei Wochen mache ich mein Studienpraktikum auf dem Ruhbauernhof in der Dorfschaft Dietenbach der Gemeinde Kirchzarten. Von Anfang an habe ich laut verkündet, dass ich bei allem dabei sein möchte, um mich in die mir als Hamburger Deern unbekannte Welt der Schwarzwaldbauern einfühlen zu können.
Als mir zu Ohren kam, dass ein traditioneller Tag der Dreisamtäler Bauern anstand, war klar: ich will dabei sein! Die Familie Maier, die Besitzer des Ruhbauernhofs, schienen ein wenig verdutzt über meine Euphorie. Es sei schon ein wenig anstrengend, man wisse nie was so passieren könne, um vier Uhr aufstehen . . .

Nun, es ging darum die jungen Milchkühe nach dem Winter wieder hoch auf die Allmendeweide des Feldbergs zu treiben. Feldberg kannte ich, und ich kannte auch den Ruhbauernhof. Das ist ein ganz schönes Stück von da unten da hoch auf den höchsten Berg des Schwarzwaldes! Und das mit Rindern! Bei den Vorbereitungen überlegte ich mir dann irgendwann einfach nicht mehr weiter, neugierig wie ich war, alles wissen zu wollen, und einfach ein wenig so zu tun als wäre das alles ganz normal. Ich würde es ja schon noch erfahren. Am Tag zuvor bauten wir ein paar Zäune, damit das Vieh uns nicht durch die Lappen ging. Der Gedanke an einen Urlaub in Südfrankreich, bei dem ich mit meiner Familie bei einem Stierkampf gelandet war, kam mir irgendwie immer mal wieder in den Sinn.
Der Tag war gekommen und ich erwachte morgens um vier Uhr auf dem Ruhbauernhof, nachdem ich den Abend zuvor doch noch kurz das Bauernhofleben mit dem Studentenleben durcheinander ge­bracht hatte und erst nach Mitter­nacht meinte ins Bett gehen zu müssen. Viertel nach vier klingelte mein Handy. Familie Maier wollte nur sicher gehen, dass ihre verrückte Praktikantin auch aufgestanden sei. So schleppte ich mich zum Frühstückstisch, an dem zu meiner Verwunderung rund 20 Menschen saßen. Matthias Maier, der Bauer des Ruhbauernhofs, begrüßte mich überschwänglich gut gelaunt. Schnell bemerkte ich, dass ich exotisch und doch unglaublich herzlich aufgenommen wurde: beim ersten Schnaps durfte ich nicht nein sagen, das gehöre alles zur Tradition. Das Wetter versprach durchgehenden Regen, was für mich als Nordlicht jedoch kein Problem darstellen sollte. Nach dem deftigen Frühstück mit Rührei und Speck und ein paar Hinweisen von Matthias sollte es dann endlich losgehen und wir ließen die Rinder auf die Straße. Eine gewisse Spannung war zu spüren als die Zäune geöffnet wurden, denn jedes Jahr verläuft es anders, jedes Jahr birgt Überraschungen. Waren die Rinder heute gut gelaunt und würden Ruhe bewahren? Ein paar Schauergeschichten, die alle gut ausgingen, hatte ich die Tage zuvor immer mal wieder aufgeschnappt. Man hätte wirklich schon alles erlebt!
Die Rinder schienen ziemlich ruhig in der beginnenden Dämmerung. So zogen wir los, ein paar Leute vor ihnen, ein paar dahinter. An einigen Fenstern der kleinen Dorfschaft waren grüßende Leute zu sehen. Es war alles irgendwie verwunschen, ein bisschen wie das Gefühl an Heiligabend in Kin­der­tagen.
Als wir dann auf die Hauptstraße Richtung Oberried wechselten, wurden die Tiere zum ersten Mal unruhig und für mich unberech­en­bar. Auch die Dietenbacher selbst schienen aufgeregt. Die wenigen Autos, die fuhren, wurden angehalten. Dieser Abschnitt der 15 km weiten Strecke war voller Aufregung und Spannung, weil er in stetigem Galopp oder Laufschritt passiert wurde. Es musste immer darauf geachtet werden, dass kein Tier der 20 Rinder auszubüchsen versuchte, denn dann folgten diesem schnell die anderen. In der Gemeinde Oberried erreichten wir den Fuß der Berge, die Tiere wurden wieder ruhiger, und die ersten Höhenmeter wurden gemacht. Der ein oder andere Dorfbewohner stellte Getränke bereit, die dankend angenommen wurden.
Der Regen wurde stärker und stärker, als wir den Wald erreichten, sodass der Panoramablick auf das Dreisamtal ausfiel, weil Wolkendecken das Tal unter sich begruben. Immer wieder wurde die Schönheit der Landschaft gelobt. Ich nahm den Mund ein wenig voll und verkündete, dass ich mit Bergen nicht besonders viel anzufangen wisse. Dies nahmen die traditionsbewussten Schwarzwälder sich arg zu Herzen und so manch einer nahm sich zur Aufgabe mich von dieser Art Landschaft zu überzeugen.

Nachdem alle wirklich völlig durchnässt gegen 8 Uhr morgens die Erlenbacher Hütte erreichten, wurde sich mit Schnitzel und Pommes gestärkt, was mir in dem Moment völlig normal zu sein schien. Hier trafen wir auf weitere Bauern des Dreisamtals. Einige von ihnen waren schon um 1 Uhr in der Nacht losgegangen, weil sie von der anderen Seite des Tals kamen. Ab und zu sah man wie manch einer den Kopf auf die Hände gestützt dösend am Tisch zusammensank. Ich war überrascht wie viele Leute „wir“ waren. Die, die nicht als Bauern arbeiteten, hatten sich bei der Arbeit frei genommen. Auch einige Kinder waren dabei, um diesen Tag zu erleben.
Gestärkt und teilweise auch be­schwipst nahmen wir den Pfad zum Gipfel wieder auf. Jetzt mit mehr Rindern und mehr Leuten. Allmählich wurden Lieder angestimmt, die ich weder je gehört hatte, noch verstand ich den Text. Irgendwann klarte der Himmel etwas auf und nachdem wir den Gipfel des Feldberges erreichten, die Kühe auf die Weide gebracht hatten und die nächste Mahlzeit in der St. Wilhelmer Hütte eingenommen hatten, konnte nun auch das Panorama des Schwarzwaldes betrachtet werden.

Die Ruhe war unglaublich und ich spürte wie die mir unbekannte Tradition immer mehr in Fleisch und Blut überging. Aber wie sollte es auch anders sein inmitten all dieser aufgeschlossenen Schwarzwälder Bauern, die mich so herzlich aufnahmen?!
Die Tiere waren auf der Weide und sollen nun den Sommer über oben auf dem Feldberg bleiben. So manch ein Tourist wird sich an ihnen erfreuen. So manch ein Einheimischer auch. Ich muss gestehen, dass dieser Tag mich dem Schwarzwald und der langjährigen Kultur sehr viel näher gebracht hat. Er fand nach knapp 25 km Wanderung mit tobendem Gesang in der Erlenbacher Hütte seinen Abschluss. Bei einem letzten Blick auf den Schwarzwald bei untergehender Sonne wurde mir klar, dass auch ich nun ein Teil dieser Tradition bin.